Plattform für die Vergessenen, Ausgegrenzten und Überflüssigen. Joseph Heinrich Beuys (1921 - 1986): „… Ich habe von da an das ganze Leben, auch das Sprechen und Denken, als Kunst betrachtet.“
Donnerstag, 9. Mai 2013
Trouvaille aus dem Teil-Nachlass von Heinrich Herzig (1887 - 1964)
Heinrich Herzig über sich selbst:
Heruntergekommener Appenzeller titulieren mich die Rheinecker wenn sie spottlustig werden. Dieser etwas boshafte Ausspruch stimmt aber nicht, denn meine Eltern sind viele Jahre vor meiner Geburt von der hangartigen Terrasse von Walzenhausen ins Städtchen Rheineck herunter gezügelt.
Gleich in der ersten Stunde meines Lebens habe ich "Rhineggerluft" geatmet und in Rheineck habe ich die Schulbänke abgestaubt, wenn auch nicht mit besonderem Eifer.
Viel lieber tummelte ich mich am Rhein herum, der damals noch ein mächtiger, wilder Geselle war, der alle paar Jahre die Bürger von Rheineck ärgerte indem er ihnen Wasser in die Keller goss. Oder wir strichen nach der Schule durch die alten Gassen und trieben Unfug. In diesen Jahren fing ich an, alte Winkel, Gassen und Häuser zu zeichnen, auch die Rebhügel und der Burgstock wurden zu Papier gebracht. Auch die lieben Mitbürger und Mitbürgerinnen wurden vom Stifte nicht verschont, bei dieser kindlichen Zeichnerei kam mir oft die Lust an, die biedern Bürger mit buntem Frack zu zieren und ihnen, statt den üblichen Hut, Zopf und Dreispitz aufzusetzen, wie ich das auf alten Bildern im Rathaus, Löwenhof und anderen Herrenhäusern gesehen habe. Irgendwie hatten es mir auch die umliegenden Burghügel mit den Reben und den barocken Rebhäuschen angetan. Da sah ich in kindlichen Träumereien Damen in weiten farbigen Kleidern und mit gepuderten Lockenzöpfen vor dem Rebhaus oben in der Sonne sitzen und von den Trauben naschen. Woher kommen diese Kinderträume, die übrigens heute noch nicht verschwunden sind? Sicher nicht nur von den alten Bildern, die ich gesehen habe.
Dieser eigentlich nicht mehr zeitgenössische fröhliche und etwas steife Barockgeist lag nicht nur über den Fassaden der Herren- und Bürgerhäuser und über den Burghügeln mit den Rebhäuschen, er muss in der Luft gelegen sein, vielleicht ist in den alten Gassen, an den alten Giebeln Perrücken- und Puderstaub hängengeblieben.
Manchmal kommt es mir vor, dieser Perrückenstaub hinge heute noch in der Rheineckerluft und mitunter mache er sich noch in den Köpfen der Bürger bemerkbar. Aber gerade wegen dieser besonderen Atmosphäre ist mir das Städtchen so sehr ans Herz gewachsen und liebe ich die Menschen, die darin hausen.
Vieles ist ja anders geworden, manche hübsche Fassade ist verschwunden, manches ist verpfuscht worden von Leuten, die den Perrückenstaub nicht mehr spürten. Die Reben sind von den Burghügeln fast ganz verschwunden. Die Herrschaften kommen nicht mehr in Kutschen zum Wimmet. Heute rasen sie in Autos und Motorrädern zum Städtchen herein und wieder hinaus, aber mit allem Benzindunst vertreiben sie den Perrücken- und Puderduft nicht aus dem Städtchen, das freut mich heimlich, auch wenn die lieben Nachbarn in den umliegenden Gemeinden diese besondere Luft, die über unserem alten lieben Städtchen liegt, "arischtokratisch" nennen.
Dieser Barockgeist, der übrigens über dem ganzen Rheintal schwebt, ist es, der mich immer wieder zum Malen und Gestalten angeregt hat, überall im Rheintal habe ich ihn gespürt, bald ländlich, bald kleinstädtisch. Bei den Menschen in derbem bäuerischem oder krämerischem Wesen oder dann in vornehmer herrischer aristokratischer Form, aber immer liebenswürdig und voll Farbe.
H. H.
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